Carole Kambli zu DIY 2013-2019
Der Clash von Hochkultur und Alltagskultur könnte nicht schöner sein als in der Arbeit «DIY» von Lorenz Olivier Schmid. Lustvoll und verspielt, überrascht sie uns mit Leichtigkeit und einer gnadenlosen Selbstverständlichkeit. Auch wenn auf den ersten Blick nicht offensichtlich, knüpft der Künstler dabei an die wichtigen Themen seiner bisherigen Arbeiten an – das Verborgene, das Zufällige, das Alltägliche. So zeigen seine «Skonogramme» die Spuren auf den Glashintergründen alter erworbener Bilder, die «Anthologie» und das «Grosse Spannungsfeld» gründen auf Autopoiesis und werden vom Zufall bestimmt, «Dunkle Tage» addiert fremde digitale Bilder bis zur Unkenntlichkeit und agiert in einer optisch-juristischen Grauzone. Und immer ist da die Frage nach der Autorschaft, die durch Aneignung von fremdem Material gestellt werden muss. Handelt es sich um Plagiate? Wann und wie werden sie zum künstlerischen Original?
In den 1950er Jahren breitete sich die «Do It Yourself» Bewegung von England rund um den Globus aus und war zwei Dekaden lang in der Kunst erfolgreich. Es ging um die aktive Beteiligung der Betrachter, Kunstwerke wurden zu Spielobjekten, Künstler sahen sich als Moderatoren. «DIY» von Lorenz Olivier Schmid geht den umgekehrten Weg: Im Netz gefundene Instruktionen für selbstgebastelte Sexspielzeuge, die von engagierten und kreativen (!) Privatpersonen auf Videokanälen hochgeladen wurden, dienen dem Künstler als Quelle. Seine «Kleinst-Skulpturen» bestechen durch ihre Form und Farbgebung: Es dominieren organisch geformte Biegungen und Krümmungen, natürliche und künstliche Materialien vermischen sich. Und dann diese Farben! Grell und bunt, wie es der hiesige Super- und Baumarkt anbietet. Die Nähe zur Farbigkeit von herkömmlichen Sextoys ist zufällig, aber erwünscht; die Skulpturen könnte man als «glokal» bezeichnen: Je nach lokal vorhandenen Materialien zeigen sich Unschärfen in der Übersetzung, es existiert ein globaler Interpretationsspielraum. Die Haushaltsmaterialien suggerieren eine Nähe zum Putzen und zur Reinlichkeit. Vorsicht ist jedoch geboten, denn die Objekte aus Schwämmen oder Waschutensilien können neben ihrer pflegenden auch immer eine abrasive Kehrseite aufweisen. Die symbolische Bedeutung ist untrennbar mit dem Materialcharakter verbunden, sie wurde vom Künstler zusammengedacht. So könnte man auch das für «Taschenvaginas» verwendete Material der Bläschenfolie als Brückenschlag verstehen - wird dieses doch zum Einpacken von Kunstwerken auf der ganzen Welt benutzt.
Die Objekte wirken formalästhetisch als Gesamtinstallation. Als Einzelobjekte lassen sich die skulpturalen Erzeugnisse in Kategorien einteilen. So treten Variationen eines Themas wie beispielsweise «Glove-Love» auf, es gibt Silikon-Abgüsse von Phallus-ähnlichen Früchten und Gemüsen oder Wiederholungen von Materialien, wie zum Beispiel Gummi und Latex in Form von Veloschläuchen, Luftballons, Kondomen oder Handschuhen.
«DIY» ist eine Ode an die Selbstbefähigung und die Aufklärung durch Praxis. Sie verweist augenzwinkernd auf das Spielerische im Gegensatz zur normierten Sexspielzeug-Industrie mit ihren auf Verträglichkeit getesteten Produkten; und liefert gleichzeitig eine Prise Subversion, indem sie billige Alternativen zu den professionellen Sextoys aufzeigt. Die Digitalisierung macht möglich, was schon Walter Benjamin in den 20er Jahren prognostizierte: Die Wahrnehmungs- und Produktionsbedingungen verändern sich, die alltägliche Kommunikation wird global, die Selbstinszenierung wird dank Internet so einfach wie noch nie – das Prinzip «Anleitung» dominiert die Medien. Zeigen, nicht sagen.
Die Metamorphose, die bei «DIY» vollbracht wird, fordert den Betrachter, seine Fantasie wird unwillkürlich angeregt. Er rätselt, erkennt, ahnt. Die Grenzen zwischen Ästhetik und Alltag verwischen. Der Mensch ist, frei nach Schiller, ganz Mensch, wo er spielt. Humorvoller und entlarvender kann Kunst und deren Vermittlung nicht sein.
Carole Kambli ist freie Kuratorin. Sie lebt in Zürich
Der Clash von Hochkultur und Alltagskultur könnte nicht schöner sein als in der Arbeit «DIY» von Lorenz Olivier Schmid. Lustvoll und verspielt, überrascht sie uns mit Leichtigkeit und einer gnadenlosen Selbstverständlichkeit. Auch wenn auf den ersten Blick nicht offensichtlich, knüpft der Künstler dabei an die wichtigen Themen seiner bisherigen Arbeiten an – das Verborgene, das Zufällige, das Alltägliche. So zeigen seine «Skonogramme» die Spuren auf den Glashintergründen alter erworbener Bilder, die «Anthologie» und das «Grosse Spannungsfeld» gründen auf Autopoiesis und werden vom Zufall bestimmt, «Dunkle Tage» addiert fremde digitale Bilder bis zur Unkenntlichkeit und agiert in einer optisch-juristischen Grauzone. Und immer ist da die Frage nach der Autorschaft, die durch Aneignung von fremdem Material gestellt werden muss. Handelt es sich um Plagiate? Wann und wie werden sie zum künstlerischen Original?
In den 1950er Jahren breitete sich die «Do It Yourself» Bewegung von England rund um den Globus aus und war zwei Dekaden lang in der Kunst erfolgreich. Es ging um die aktive Beteiligung der Betrachter, Kunstwerke wurden zu Spielobjekten, Künstler sahen sich als Moderatoren. «DIY» von Lorenz Olivier Schmid geht den umgekehrten Weg: Im Netz gefundene Instruktionen für selbstgebastelte Sexspielzeuge, die von engagierten und kreativen (!) Privatpersonen auf Videokanälen hochgeladen wurden, dienen dem Künstler als Quelle. Seine «Kleinst-Skulpturen» bestechen durch ihre Form und Farbgebung: Es dominieren organisch geformte Biegungen und Krümmungen, natürliche und künstliche Materialien vermischen sich. Und dann diese Farben! Grell und bunt, wie es der hiesige Super- und Baumarkt anbietet. Die Nähe zur Farbigkeit von herkömmlichen Sextoys ist zufällig, aber erwünscht; die Skulpturen könnte man als «glokal» bezeichnen: Je nach lokal vorhandenen Materialien zeigen sich Unschärfen in der Übersetzung, es existiert ein globaler Interpretationsspielraum. Die Haushaltsmaterialien suggerieren eine Nähe zum Putzen und zur Reinlichkeit. Vorsicht ist jedoch geboten, denn die Objekte aus Schwämmen oder Waschutensilien können neben ihrer pflegenden auch immer eine abrasive Kehrseite aufweisen. Die symbolische Bedeutung ist untrennbar mit dem Materialcharakter verbunden, sie wurde vom Künstler zusammengedacht. So könnte man auch das für «Taschenvaginas» verwendete Material der Bläschenfolie als Brückenschlag verstehen - wird dieses doch zum Einpacken von Kunstwerken auf der ganzen Welt benutzt.
Die Objekte wirken formalästhetisch als Gesamtinstallation. Als Einzelobjekte lassen sich die skulpturalen Erzeugnisse in Kategorien einteilen. So treten Variationen eines Themas wie beispielsweise «Glove-Love» auf, es gibt Silikon-Abgüsse von Phallus-ähnlichen Früchten und Gemüsen oder Wiederholungen von Materialien, wie zum Beispiel Gummi und Latex in Form von Veloschläuchen, Luftballons, Kondomen oder Handschuhen.
«DIY» ist eine Ode an die Selbstbefähigung und die Aufklärung durch Praxis. Sie verweist augenzwinkernd auf das Spielerische im Gegensatz zur normierten Sexspielzeug-Industrie mit ihren auf Verträglichkeit getesteten Produkten; und liefert gleichzeitig eine Prise Subversion, indem sie billige Alternativen zu den professionellen Sextoys aufzeigt. Die Digitalisierung macht möglich, was schon Walter Benjamin in den 20er Jahren prognostizierte: Die Wahrnehmungs- und Produktionsbedingungen verändern sich, die alltägliche Kommunikation wird global, die Selbstinszenierung wird dank Internet so einfach wie noch nie – das Prinzip «Anleitung» dominiert die Medien. Zeigen, nicht sagen.
Die Metamorphose, die bei «DIY» vollbracht wird, fordert den Betrachter, seine Fantasie wird unwillkürlich angeregt. Er rätselt, erkennt, ahnt. Die Grenzen zwischen Ästhetik und Alltag verwischen. Der Mensch ist, frei nach Schiller, ganz Mensch, wo er spielt. Humorvoller und entlarvender kann Kunst und deren Vermittlung nicht sein.
Carole Kambli ist freie Kuratorin. Sie lebt in Zürich